Die Vokale

Die wichtigsten und wesentlichen Merkmale des Frankfurter Dialekts liegen in den Vokalen. So soll hier das Frankfurter Vokalinventar an den Anfang gestellt werden. Falls nicht anders angegeben, handelt es sich um den in Rauh (1921a) dokumentierten Lautstand für Frankfurt um 1920. Weitergehende Details und Erläuterungen zu den Frankfurter Vokalen finden sich in Keil (2017, S. 231-426).
Meine Dissertation ist frei unter einer CC-BY Lizenz verfügbar und kann hier als PDF heruntergeladen werden. Online darin blättern kann man auf archive.org. In Teil III darin findet sich eine umfangreiche Beschreibung der Vokale des Frankfurter Stadtdialekts.

Die langen Vokale

Zunächst soll hier eine Übersicht über die langen Vokale des Frankfurterischen gegeben werden. Dazu muss man sich das Vokalinventar der hochdeutschen langen Vokale in Erinnerung rufen. Es ist in folgendem Schaubild in der üblichen Form dargestellt [Mangold 2005]:

Nun folgen zum Vergleich die langen Vokale des Frankfurterischen [Keil 2017, Tab. 58, S. 412]:

Was fällt auf?

  1. Das Langvokalsystem ist sehr ähnlich: Beide Systeme haben vier sogenannte Öffnungsstufen, also vier unterschiedliche Grade der Mundöffnung. Aber es gibt doch einige Unterschiede.
  2. Dem Frankfurterischen fehlen die langen Umlaute Ü und Ö, also [yː/øː] bzw. üü/öö (Merkmal K2 der Übersicht). Das Frankfurterische kennt keine der sogenannten runden Vorderzungenvokale, es ist, wie die Germanisten sagen, entrundet. Der Deutsche spricht spülen als [ʃpy:lən] bzw. schpüülěn aus. Der Frankfurter kannte kein Ü und sagte [ʃpi:lə] bzw. schpiilě – in diesem Beispiel sprach der Frankfurter auch kein N am Wortende und das E ist unbetont und schwach, was mit dem Zeichen [ə] bzw. einem e angezeigt wird.
  3. Die Frankfurter Mundart hatte mit dem Laut [ɑː] bzw. åå einen zusätzlichen A-Laut, das lange dunkle A (Merkmal K1 der Übersicht). Dieses dunkle A wurde oft als ein Mittellaut zwischen A und O beschrieben und weicht deutlich vom sonst üblichen neutralen A, also [a], ab. Oft wird es auch als ein velares A oder ein verdumpftes A bezeichnet. Das Deutsche kennt das dunkle A nicht, weshalb wir hier in der Umschrift das neue Zeichen å, also ein A mit einem übergesetzten O, schreiben (was übrigens das Zeichen der alten Teuthonista-Lautschrift ist). Oppel vergab die Vokalnummer 11 für das dunkle A, das neutrale A erhielt die Nummer 1. Der Deutsche spricht sagen mit [zaːgən] bzw. saagěn, verwendet also langes neutrales [aː]. Der Frankfurter hingegen sprach [sɑːxə] bzw. sååchě mit deutlich dunklerem A (in diesem Beispiel ist S auch stimmlos, aus dem G wird ein CH, das N am Wortende entfällt und das E davor ist ganz schwach). Man beachte, dass das Frankfurter Langvokalsystem durch den Laut des dunklen A symmetrisch wird, das hochdeutsche ist es nicht.
  4. Der Lautwert des frankfurterischen dunklen A war nicht konstant, was mit dem Pfeil in obigem Diagramm angezeigt wird. Man kann annehmen, dass es im 19. Jahrhundert deutlich dunkler und O-ähnlicher war, was mit dem Lautsymbol [ɔ] bzw. ǫ – offenes O – angezeigt wird [Keil 2017, S. 309-310 und S. 319-320].
  5. Der Lautwert des frankfurterischen langen neutralen A, des [aː], war ebenso nicht konstant. Im frühen und mittleren 19. Jahrhundert wurde der Laut palatal, also hell und leicht Ä-ähnlich gesprochen – dieser feine Unterschied wird hier mit der Pseudo-IPA-Schreibweise [ạ] für das palatale A angezeigt – genauso in der einfachen Umschrift: . Der unterschiedliche Klang zeigt sich beispielsweise bei Oppel, der die Vokalnummer 2 für das palatale A wählte. Wichtig: Obwohl dieser A-Laut Ä-ähnlich klang, war er deutlich vom echten langen Ä, dem [ɛː] bzw. ää, unterschieden. Dass er nie echtes Ä war, wird auch wieder durch Oppel bezeugt: Seine Nummer für Ä ist die 3, welche er nie in diesem Zusammenhang nutzte [Keil 2017, S. 351-360]. Die Ä-Ähnlichkeit verleitete frühe Frankfurter Mundartdichter zu der Schreibung dieses Lauts mit einem „Ä“-Zeichen. Dies wiederum verführte Frankfurter des 20. Jahrhunderts, als das originäre palatale A nur noch bei sehr alten Menschen gehört werden konnte, auch tatsächlich ein echtes Ä zu sprechen, was natürlich falsch ist. Hierzu schrieb Rauh (1939, S. 634):

    Viele Mundartleser, darunter selbst Frankfurter, wurden durch die ää-Schreibung dazu verführt […], ein ä zu sprechen, wie es in schriftsprachlichen Fällen wie Gräber oder Läden vorliegt. Sie glaubten dies mit umso größerer Berechtigung zu tun, als man Fr[iedrich] Stoltze als einen Richter in mundartlichen Dingen und seine Sprache als die einzig richtige Frankfurter Mundart ansah. In Wirklichkeit aber wissen solche Leute nicht […], daß selbst zu Stoltzes Zeiten dieses ää nicht als ein ä ausgesprochen wurde, sondern als ein helles langes a, ähnlich dem französischen hellen a in Paris.

Die kurzen Vokale

Zuerst sollen wieder die Laute des Hochdeutschen nach Mangold (2005) dargestellt werden:

Es folgen die Laute des Frankfurter Stadtdialekts [Keil 2017, Tab. 58, S. 412]:

Im Kurzvokalsystem sind die Unterschiede fundamentaler:

  1. Das hochdeutsche System hat nur drei Öffnungsstufen, das Frankfurterische hingegen weist, wie viele deutsche Dialekte, vier auf (Merkmal K7 der Übersicht). Der Germanist sagt: Das Frankfurterische hat sein altes vierstufiges Kurzvokalsystem bewahrt. Was bedeutet das? Der Deutsche spricht die kurzen I, U, E und O-Laute offen und tendenziell mit weniger Muskelspannung, was sich auch in den IPA-Zeichen für diese Laute zeigt, die allesamt von denen ihrer langen Partner abweichen: [ɪ], [ʊ], [ɛ] und [ɔ] bzw. in der einfachen Umschrift i, u, ä und ǫ. Der Frankfurter hingegen sprach diese kurzen Vokale geschlossen mit Spannung, also [i], [u], [e] und [o] bzw. in der einfachen Umschrift i, u, und o (wichtig für den Frankfurter Dialekt ist die Unterscheidung zwischen offenem E, [ɛ] bzw. ä, und geschlossenem E, [e] bzw. , sowie zwischen offenem O, [ɔ] bzw. ǫ, und geschlossenem O, [o] bzw. o). Schnupfen lautet z.B. im Hochdeutschen [ʃnʊpfən] bzw. schnupfěn. Auf Frankfurterisch hieß es hingegen [ʃnubə] bzw. schnubbě mit einem leicht geschlosseneren U (und einem B anstatt deutschem PF).
  2. Die Frankfurter Mundart kennt kein kurzes Ü und Ö und ebenso kein langes Ü und Ö (Merkmal K2 der Übersicht).
  3. Genauso wie bei den langen Vokalen taucht wieder ein dunkles A, [ɑ] bzw. å], auf, diesmal entsprechend kurz. Man beachte, dass hier, setzt man den Lautwert des offenen O, also [ɔ] bzw. ǫ, an, kein systemischer Unterschied zum Hochdeutschen vorliegt.

Die Diphthonge

Bei den Diphthongen („Zweiklängen“) sind die Unterschiede zwischen dem Hochdeutschen nach Mangold (2005)

und dem Frankfurter Dialekt wesentlich geringer [Keil 2017, Tab. 58, S. 412]:

Zu vermerken bleibt:

  1. Die erste Komponente in hochdeutschem EU ist im Frankfurterischen geschlossenes O, also [oɪ] bzw. oi, im Hochdeutschen dagegen offenes O, also [ɔʏ] bzw. ǫü.
  2. Die zweite Komponente ist für alle drei Diphthonge immer offenes I, also [ɪ], bzw. offenes U, also [ʊ]. Das ist identisch zum Hochdeutschen bis auf EU, wo die hochdeutsche Aussprache eine leichte Ü-Färbung hat, die es so natürlich im entrundeten Frankfurter Stadtdialekt nicht geben kann.
  3. Interessanter ist ein zweiter Unterschied: Manche EU wurden wohl am Ende des 18. Jahrhunderts mit einem A in der ersten Komponente gesprochen, also [aɪ] anstatt [oɪ]. Der Teufel ist z.B. im Hochdeutschen der [tɔʏfəl] bzw. tǫüfěl, auf Frankfurterisch war es aber um 1920 noch der [daɪvḷ] bzw. daiw] – also eine Form mit einem deutlichen A. Andere A-Formen waren schon um 1840 ausgestorben, kommen aber in der ältesten Frankfurter Mundartdichtung, insbesondere bei Carl Malß, noch vor.

Die Allophone und die Schwa-Vokale

Das Frankfurterische – wie viele andere Dialekte und auch das Hochdeutsche – kennt einen Zoo von Vokalen, die nur in bestimmten Konstellationen vorkommen. Man spricht von Allophonen, denn die Klangfarbe des Vokals ändert sich nur durch den folgenden Konsonanten oder die Stellung im Wort. Die bisher beschriebenen Lautbilder bezogen sich auf den Regelfall, auf die sogenannte Normalposition des betonten Vokals. Die im Folgenden aufgeführten Vokale treten nur in der Stellung vor R oder N auf oder sind unbetont:

Zum einen sind da die unbetonten Vokale, also nur schwach oder gehaucht ausgesprochene Laute. Der Sprachwissenschaftler nennt sie die Schwa-Vokale oder Schwas. Hier werden sie alle mit kleinen hochgestellten Buchstaben umschrieben:

  1. Das E-Schwa, hier: [ə] bzw. ě, ist ein unbetontes E am Ende des Wortes, wie z.B. am Ende in Frankfurterisch für Schnupfen: [ʃnubə] bzw. schnubbě. Im Frankfurterischen entsteht es insbesondere, wenn das End-N des Hochdeutschen abfällt.
  2. Das A-Schwa oder Tiefen-Schwa, hier: [ɐ] bzw. ǎ, ist ein unbetontes A, welches in der Frankfurter Mundart aus einem R nach einem Vokal entstanden ist, z.B. in Wurst, [vɔɐʃt] bzw. wǫǎschtt. Der Frankfurter sprach also kein R in Wurst, sondern stattdessen ein leichtes schwaches A. Das A-Schwa war durchgängig nach kurzen Vokalen, wie hier in Wurst, wurde aber nach langen Vokalen ab 1920 zunehmend verschluckt.
  3. Ein „-er“ am Ende eines Wortes wurde im Frankfurter Dialekt zu einem unbetonten überkurzen, doch deutlich überoffenen Ä (anders als im Deutschen, wo manchmal ein schwaches aber ebenso deutliches A auftritt; Merkmal N1 der Übersicht). Das Zeichen ist (vereinfacht) [æ] bzw. ä. Ein Beispiel ist älter, was als [eldæ] bzw. elldä gesprochen wurde.

Dann folgt eine ganze Reihe von Vokalen, die nur vor R auftreten:

  1. Ein „-er-“ in der Mitte oder am Anfang eines Wortes wird im Frankfurterischen zu einem kräftigen überoffenen Ä, das sehr deutlich und mit offenem Mund gesprochen wird. Das Zeichen ist [æː] bzw. ȁȁ (lang) und [æ] bzw. ȁ (kurz). Ein Beispiel ist der Bär auf Frankfurterisch mit [bæːæ] bzw. bȁȁä.
  2. In vereinzelten Wörtern trat in der Spätphase des Frankfurter Stadtdialekts, etwa 1920-1945, eine Verschiebung von O und U vor R zu A auf. Das hier auftretende A war das helle palatisierte A, also [ạ] bzw. . Ein Beispiel ist abermals Wurst, das sich zu [vạʃt] bzw. wạschtt entwickelte (man beachte den Unterschied in diesem Wort: O bis etwa 1920, danach zunehmend A).
  3. Ein langes O vor R am Wortende nahm eine Zwischenstellung zwischen offenem O und geschlossenem O ein. Das Lautzeichen ist leicht geöffnetes (geschlossenes) O, hier als Pseudo-IPA mit einem [ǫː] markiert – in der einfachen Umschrift mit [ơơ]: Beispiel ist Tor mit [dǫːɐ] bzw. dơơǎ.
  4.  Ein O oder U vor R und einem weiteren Konsonanten wurde zu offenem O, also [ɔ] bzw. ǫ, z.B. in Wurst, [vɔɐʃt] bzw. [wǫǎschtt].

Abschließend sei noch der Einfluss von N beschrieben:

  1. Langes A vor N wurde stark nasaliert, also: das N verschwindet und das A wird dafür durch die Nase gesprochen (Merkmal K5 der Übersicht). Der entstandene Laut war dem langen dunklen A, [ɑː] bzw. åː, ähnlich, aber eben nasaliert – ganz ähnlich dem Französischen, wenn auch nicht so ausgeprägt. Dieser Laut soll hier im Text vereinfacht mit [ãː] bzw. ååñ geschrieben werden. Beispiel ist Bein im Frankfurter Stadtdialekt mit [bãː] bzw. bååñ.

Die A-Laute

In den A-Lauten sind die auffälligsten und wesentlichen Merkmale des historischen Frankfurterisch zu finden. Folgende Übersicht zeigt die Beziehung zwischen den Frankfurter A-Vokalen (jeweils linke Spalte) und den hochdeutschen Entsprechungen (jeweils rechte Spalte), wobei die Beschreibung in der IPA-Lautschrift (linker Block) und der einfachen Umschrift (rechter Block) erfolgt [Siebs 1912, S. 35–39; Mangold 2005 S. 34–107].

Kurzes neutrales A

Der einfachste A-Laut des Frankfurter Dialekts ist das kurze A, wie z. B. in Fass. Der Frankfurter sprach hier genau den gleichen Laut wie im Hochdeutschen, also [fas] bzw. fass.

Dunkles A für langes A

In den meisten Fällen entspricht einem hochdeutschen langen A im Frankfurterischen der dunkle lange A-Vokal [ɑː] bzw. einem A mit übergesetztem O in der einfachen Umschrift: åå (Merkmal K1 der Übersicht). Beispiele sind etwa Hase, hochdeutsch [haːzə] bzw. haasě, frankfurterisch dann [hɑːs] bzw. håås; Schlaf: hochdeutsch [ʃlaːf] bzw. schlaaf, frankfurterisch [ʃlɑːf] bzw. schlååf oder Straße: hochdeutsch [ʃtraːsə] bzw. schtraasě, frankfurterisch [ʃtʀɑːs] bzw. schtråås.

Interessant ist, dass Sachsenhausen im 19. Jahrhundert in diesen beiden Wörtern unterschiedliche Laute hatte. Während der Hase völlig gleich klang, war das A in Straße in Sachsenhausen aber ein langes „reines” O, also z. B. [ʃloːf] bzw. schloof – der Frankfurter sprach an dieser Stelle „nur” ein dunkles A. Zu diesem dunklen A schreibt Freiling (1924, S. 192):

Aber […] je mehr wir uns von der Stadt entfernen, desto dumpfer wird der a-Laut. Die Verdunklung geht so weit, daß das o ganz geschlossen klingen kann.

Wie ist dieser Unterschied zu erklären? Er erklärt sich aus der Herkunft des A. Wenn das A an dieser Stelle schon immer lang war, sprach der Sachsenhäuser O, also [oː] bzw. oo. War das A aber „nur” gedehnt, dann erklang in Sachsenhausen wie in Frankfurt „nur” dunkles A, also [ɑː] bzw. åå. Dieser Unterschied zwischen „altlangem” A, im normalisierten Mittelhochdeutschen â geschrieben, und „Dehnungs-A”, wie der Germanist sagt, ist fundamental: Er ist ein Zeichen des Hessischen und hessisch waren früher die Frankfurter Vororte geprägt. Die Städte aber, eben Frankfurt aber auch z. B. Hanau oder Friedberg machten den Unterschied um 1920 nicht mehr [Reuß 1904; Urff 1924]. Oppel notierte immer säuberlich „reines O”, seine Vokalnummer 12, für altlanges A in den Vororten und dunkles A, seine Vokalnummer 11, in Frankfurt. Es war ein Zeichen der Landmundarten, altlanges A vom Dehnungs-A zu trennen; für die Stadtmundarten war beides ein Laut: dunkles A, geworden. Weitere Erläuterungen und Belege finden sich in Rauh (1921a, S. 97 f. und 117 f.) sowie Keil (2017, S. 306–329).

Verlorene Wurzel: Das O in Reliktwörtern

Jetzt stellt sich eine weitere fundamentale Frage: Wenn diesem altlangen A in Frankfurt „nur” dunkles A entsprach, in den Vororten und im Hessischen aber reines O, war es dann vielleicht „früher” ebenso in der Stadt einmal O? Es gibt Anzeichen dafür: und zwar in zwei Wörtern, in denen der ursprüngliche A-Klang im Deutschen „verloren” ging. Diese beiden sogenannten Reliktwörter sind blau und grau, deren normalisierte mittelhochdeutsche Formen blâ und grâ sind – also mit einem altlangen A anstatt hochdeutschem AU. Und was war noch im 19. Jahrhundert die frankfurterische Form? [ploː] bzw. ploo und [kʀoː] bzw. kroo, also mit genau dem hessischen O (Merkmal A3 der Übersicht)! Dazu merkte Oppel (1839-1894, Band II, S. 110) an:

au wird o nur in blō und grō, sonst, wie es scheint, nirgendwo.

So mag man durchaus vermuten, dass in alter Zeit auch Frankfurt O für altlanges A hatte. Wann und ob das genau so war, ist nicht mehr mit Sicherheit festzustellen. In mittelalterlichen Frankfurter Urkunden jedenfalls tauchen viele O-Schreibungen an diesen Stellen auf [Wülcker 1877]. Weitere Anmerkungen und Belege finden sich in Rauh (1921a, S. 118) und Keil (2017, S. 309–310).

Langes A aus alten EI, AU und EU

Diesem langen dunklen A stand in der Frankfurter Mundart ein langes neutrales A gegenüber, ganz gleich dem langen hochdeutschen A – hier wird dieser A-Laut [aː] bzw. aa geschrieben. Der Frankfurter kannte also zwei verschiedene lange A-Laute. Das Frankfurter lange neutrale A taucht in Wörtern auf, die im Deutschen EI, AU oder EU haben (Merkmal K3 der Übersicht). Beispiele sind:

  1. Meister und zwei, frankfurterisch [maːsdæ] bzw. maasdä und [tsvaː] bzw. tswaa.
  2. Frau und Baum, frankfurterisch [fʀaː] bzw. [fraa] und [baːm] bzw. baam. Hörbeispiele aus dem Frankfurter Lautdenkmal (1937): Auge, frankfurterisch [aːx] bzw. aach, in Augenblick: und glauben, frankfurterisch [klaːvə] bzw. klaawě.
  3. Freuen und streuen, frankfurterisch [fʀaːə] bzw. fraaě und [ʃtʀaːə] bzw. schtraaě.

Der Germanist spricht hier von einer sogenannten Monophthongierung, denn aus einem alten Diphthong („Zweiklang”) wie EI oder AU entstand ein einzelner Laut, ein langes A, eben ein Monophthongierungs-A (genauer: das normalisierte Mittelhochdeutsch hat hier die Laute ei, ou oder öu, sogenannte „alte” Diphthonge). Es gibt auch im Hochdeutschen vereinzelte Beispiele – das bekannteste ist zwanzig (mit A) das ja auf zwei (mit EI!) zurückgeht. Die langen A, die alten EI und AU entsprechen, waren durchweg in der Frankfurter Mundart im Gebrauch – jene allerdings, die mit deutschem EU korrespondieren, waren in den 1930er-Jahren schon fast ausgestorben (Merkmal A6 der Übersicht). Hierzu schrieb Rauh (1939, S. 638):

Heute fraat sich der Frankfurter nicht mehr, er freut sich

In der Spätphase des Frankfurter Stadtdialekts wurde, dem Hochdeutschen schon sehr ähnlich, also [fʀoɪə] bzw. froiě und [ʃtʀoɪə] bzw. schtroiě gesprochen – ebenso, mit einem EU anstatt altem frankfurterischen A ist die Aussprache im Frankfurter Lautdenkmal von 1937. Weitere Anmerkungen und Belege finden sich in Rauh (1921a, S. 128 f.) und Keil (2017, S. 351–374).

Zu beachten ist allerdings, dass nicht alle Wörter, die im Hochdeutschen EI und AU haben, im Frankfurter Dialekt mit langem A erschienen. Geht das hochdeutsche EI oder AU nämlich auf alte I- oder U-Laute zurück, dann hatte auch das Frankfurterische ein EI bzw. AU (genauer: das normalisierte Mittelhochdeutsch hat hier die „altlangen” î oder û und die entsprechenden EI und AU sind „junge” deutsche Diphthonge). Die Situation kann verwirrend sein. Hochdeutsches Weide (Baum) und Weide (Wiese) gehen zum Beispiel auf unterschiedliche Laute zurück: im ersten Fall auf altes I und im zweiten Fall auf altes EI. Entsprechend hieß es in der Frankfurter Mundart auch [vaid] bzw. waid für den Baum aber [vaːd] bzw. waad für die Wiese. Bei Oppel (1839-1894, Band I, Faszikel 54) findet sich folgendes schönes Zitat, in dem beide Wörter nebeneinander vorkommen:

då wårn als die Kie uff der Waad, unner dene Bapplweide

Dieses lange neutrale A, also [aː] bzw. aa, war in der Frankfurter Mundart ein wichtiger Gegenpol zu dem langen dunklen A, also [ɑː] bzw. åå. Wo im Hochdeutschen langes A erscheint, hatte der Frankfurter in der Regel langes dunkles A – einen Laut, den es im Deutschen nicht gibt. Dort wo der Hochdeutsche (alte) EI, AU oder EU spricht, bildete der Frankfurter langes neutrales A – das ist genau derselbe A-Laut, wie er auch im Hochdeutschen verwendet wird. Vermutlich hat sich dieser Unterschied zwischen langem neutralen und langem dunklen A in der Endphase des Frankfurter Stadtdialekts zugunsten letzteren verschoben – die noch um 1920 herum neutral gesprochen langen A wurden nun ebenfalls zunehmen dunkel artikuliert [Rauh 1921b, S. 58; Keil 2017, S. 361]. So hören sich auch die entsprechenden Laute im Frankfurter Lautdenkmal von 1937 oftmals getrübt an.

Das lange Nasalierungs-A

Sehr prägend für den Frankfurter Dialekt war das lange nasalierte A (Merkmal K5 der Übersicht). Das war ein dunkler Laut, ganz ähnlich dem französischen z.B. in dans, [dãː] bzw. dååñ. Es taucht oft – aber nicht immer – auf, wenn auf ein frankfurterisches langes A ein N am Wortende folgt. Sehr häufig sind Wörter mit einem deutschen (alten) EI, die ja im Frankfurterischen A haben, wie z. B. in Bein, frankfurterisch [bãː] bzw. bååñ. Andere Wörter mit A gehen entsprechend, so z. B. getan, [gədãː] bzw. gedååñ.

Ein schönes Beispiel zu kein, frankfurterisch [kãː] bzw. kååñ, findet sich im Frankfurter Lautdenkmal von 1937:

Die E und Ä-Laute

Eine weitere für die Frankfurter Aussprache wichtige Lautgruppe ist die der E- bzw. Ä-Laute. Ganz am Anfang soll ebenso wie bei den A-Lauten eine Übersicht stehen, die den Zusammenhang zwischen den hochdeutschen und den E- und Ä-Lauten des Frankfurter Dialekts zeigt (jeweils in der linken bzw. rechten Spalte; der linke Block beschreibt die Aussprache in IPA-Lautschrift, der rechte in der einfachen Umschrift) [Siebs 1912, S. 39–45; Mangold 2005 S. 34–107].

Das lange E und das lange Ä

Das Hochdeutsche kennt zwei lange E/Ä-Laute, einmal das geschlossene lange E, [eː] bzw. ẹẹ, wie z. B. in Regen, also [reːgən] bzw. rẹẹgěn oder in Schnee, also [ʃneː] bzw. schnẹẹ. Der zweite ist das lange offene Ä, [ɛː] bzw. ää, wie z. B. in blähen, [blɛːən] bzw. blääěn, oder in Gräber, [grɛːbɐ]. bzw. [grääbǎ]. Das frankfurterische Vokalinventar kennt ebenso langes geschlossenes E und langes offenes Ä, aber es gibt noch einen weiteren langen Ä-Laut: das lange überoffene Ä, [æː] bzw. ȁȁ, das nur vor R oder im Sachsenhäuserischen vorkam. Dieser Abschnitt handelt von den ersten beiden Lauten, der überoffene Ä wird in einem separaten Absatz beschrieben.

Das Interessante ist nun, dass die Frankfurter Stadtmundart zwar dieselben langen E/Ä-Laute wie das Hochdeutsche sprach, doch mit abweichender Verteilung! Schnee und Gräber klangen, auf das E bzw. Ä bezogen, gleich, nämlich: [ʃneː] bzw. schnẹẹ und [kʀɛːvæ] bzw. krääwä. Aber die beiden anderen Wörter waren in ihrem Lautbild gerade vertauscht: blähen hatte geschlossenes E und kein offenes Ä wie im Hochdeutschen (und übrigens auch mit einen J-Gleitlaut [i̯] bzw. ịj), also [ple:i̯ə] bzw. plẹẹịjě. Regen hingegen sprach man mit offenem Ä und nicht mit geschlossenem E aus, also [ʀɛːʒə] bzw. rääschě.

Warum? Der Schlüssel liegt in den sogenannten Altlauten, also jenen Lauten, die den heutigen Vokalen ursprünglich zugrunde liegen. Das Germanische kannte nur wenige Worte mit E, das A war wesentlich häufiger. Regen und Weg sind Beispiele dafür – deren erschlossen-germanische Formen waren nach Köbler (2014) wohl *regnaz und *wegaz. Die Frankfurter Mundart sprach für dieses sogenannte germanische E – im normalisierten Mittelhochdeutschen steht dafür das Zeichen ë – immer den offenen Ä-Laut (Merkmal A1 der Übersicht). So hieß es entsprechend frankfurterisch eben [ʀɛːʒə] bzw. rääschě für Regen und [vɛːʃ] bzw. wääsch für Weg, was insbesondere bezüglich der Ä-Laute nun deutlich von der hochdeutschen Aussprache abweicht.

Ähnlich aber umgekehrt ist die Situation bei den Umlauten in blähen und Gräber. Hier ist die Frage, die man sich stellen muss um zu erfahren, ob der Frankfurter langes geschlossenes E oder langes offenes Ä verwendete: Was für ein A wurde hier umgelautet? Liegt Umlaut eines altlangen A vor – im normalisierten Mittelhochdeutschen zeigt man dem Zeichen æ den Umlaut des altlangen â an –, war die Frankfurter Aussprache geschlossenes E, also [eː] bzw. ẹẹ (siehe auch den Eintrag zum altlangen A auf dieser Webseite; Merkmal A4 der Übersicht). Das ist der Fall in dem Wort blähen. Im Althochdeutschen lautete es noch plâjan, mittelhochdeutsch dann blæjen [DWB]. Im Frankfurter Dialekt hörte man entsprechend [ple:i̯ə] bzw. plẹẹịjě mit geschlossenem E. Gräber geht hingegen auf ein altes Dehnungs-A im Verb graben zurück. Abweichend hatte das Frankfurterische an dieser Stelle genauso wie das Hochdeutsche ein offenes Ä: [kʀɛːvæ] bzw. krääwä.

Das kurze E, das kurze Ä und der Primärumlaut

Hochdeutsche kurze E werden (in der Regel) wie ein Ä gesprochen, sie sind kurzes offenes E mit dem Lautzeichen [ɛ] bzw. ä. Für die Aussprache ist es gleich, ob man ein Ä oder E als Buchstaben schreibt, der Lautwert ist derselbe. So lauten älter und Bett im Deutschen [ɛltɐ] bzw. älltǎ und [bɛt] bzw. bätt; die Äpfel sind [ɛpfəl] bzw. äppfl – überall derselbe Ä-ähnliche Laut.

In manchen Fremdwörtern kommt in der deutschen Hochsprache auch kurzes geschlossenes E vor, so etwa in General, also [genəral] bzw. gẹnněrrall – was aber eher selten ist. Das Lautzeichen ist [e] bzw. .

Der Frankfurter Dialekt hingegen hatte regelmäßig in bestimmten Wörtern kurzes geschlossenes E, also mit dem Zeichen [e], wie z. B. in älter, [eldæ] bzw. ẹlldä, oder Bett, [bet] bzw. bẹtt. Damit wich die Aussprache vom Hochdeutschen ab: Ist das Hochdeutsche her für kurze E/Ä mehr zum Ä geneigt war die Frankfurter Mundart näher am E. In anderen Wörtern tauchte hingegen derselbe Ä-Laut wie im Hochdeutschen auf, z. B. in Äpfel mit [ɛbḷ] bzw. äbbl.

Die Erklärung liegt wieder im Alter des Vokals bzw. Umlauts. Ist es ein alter kurzer Umlaut – ein sogenannter alter Primärumlaut – sprach der Frankfurter immer geschlossenes E (Merkmal A4 der Übersicht). Das ist der Fall in in den Wörtern älter und Bett. Ist der Umlaut jünger – also ein sogenannter Sekundärumlaut – verwandte die Frankfurter Stadtmundart ein offenes E: In diese Klasse fällt das Wort Äpfel .

Es ist allerdings unklar, ob die hier beschriebene Regel ausschließlich bzw. immer gegolten hat. Sie wurde von Rauh so als kanonisch dokumentiert, doch finden sich in Oppels Aufzeichnungen zahlreiche Abweichungen. Oppel notierte z. B. für Bett den Vokal mit der Nummer 3. Das entspricht aber einem [bɛt] bzw. bätt und scheint näher an der hochdeutschen Lautung als der von Rauh für den Frankfurter Dialekt niedergeschriebenen [Rauh 1921a, §§97–98; Keil 2017, S. 409–415]. Aufschluss kann nur die noch ausstehende Volluntersuchung Oppels Materials geben.

Lautwandel und Reliktwörter

Der Frankfurter Dialekt bewahrte also in seinen langen sowie kurzen E- und Ä-Lauten einen alten Lautstand, der von der hochdeutschen Normaussprache abweichen konnte. Diesen Konflikt löste die Frankfurter Stadtmundart auf, indem sie ab etwa 1925 zunehmend die hochsprachlichen Vokale verwendete [Rauh 1921a, S. 27 f.]. Aus dem altfrankfurterischen [vɛːʃ] bzw. wääsch für Weg wurde somit dann ein [veːʃ] bzw. [wẹẹsch]; aus altem [bet] bzw. bẹtt für Bett dann ein [bɛt] bzw. bätt.

Ausgenommen von dieser Entwicklung waren sogenannte Reliktwörter, die sich von der hochdeutschen Entwicklung abgekoppelt hatten und in denen die ursprüngliche Aussprache ‚eingefroren‘ wurde. Ein Beispiel ist das Wort gelb, hochdeutsch mit kurzem Ä-Laut, also [gɛlp] bzw. gällp. Im Frankfurter Dialekt lautete es durchgehend [gɛːl] bzw. gääl, deutlich abweichend mit einem langen Ä-Laut und ohne den abschließenden Verschluss P (der Grund für das lange Ä ist natürlich hier das zugrundeliegende germanische E).

Die Öffnung der E und Ä sowie Brechung der Ü und I vor R

Ein deutliches Merkmal des Frankfurterischen ist das Verhalten von Vokalen vor R: Sie wurden ,geöffnet’, also mit ersichtlich offenerem Mund im Vergleich zum Hochdeutschen gesprochen (Merkmal K4 der Übersicht). E-Laute klangen viel mehr nach Ä als E und auch das ‚normale‘ Ä war weniger offen im Vergleich. Dieser Laut vor R war ein überoffenes Ä, was hier mit dem Lautzeichen [æ] bzw. ä angezeigt wird. Die Öffnung betraf sowohl kurze als auch lange Vokale. Beispiele sind Herz mit [hæɐds] bzw. hȁǎds und Bär mit [bæːæ] bzw. bȁȁä.

Die Öffnung vor R zu Ä betraf auch kurze I. Hier spricht man dann von einer ‚Brechung‘ des I oder einem ‚gebrochenen‘ I. Ein Beispiel ist der Wirt, der im Frankfurter Dialekt als [væɐt] bzw. wȁǎtt gesprochen wurde – im Deutschen steht hier ein I: [vɪɐt] bzw. wiǎtt. Lange I hingegen waren ‚robust‘ gegen das R, und das I blieb erhalten, wie z. B. in dir mit [diːɐ] bzw. diiǎ.

Da die Frankfurter Mundart ein entrundeter Dialekt war, erschienen alle Ü als I. Entsprechend wurden auch die Ü zu einem Ä ‚gebrochen‘ (vgl. den Eintrag zur Entrundung).

Ein „-er” am Wortende klang in der Frankfurter Mundart auch wesentlich mehr nach Ä als nach dem schwachen A-ähnlichen Laut im Hochdeutschen (genauer: dem vokalisierten R an dieser Stelle). Ein Beispiel ist ist älter, was als [eldæ] bzw. ẹlldä gesprochen wurde. Der Laut war hier überoffenes aber nun überkurzes Ä, was mit dem Zeichen [æ] bzw. ä wiedergegeben wird.

Das E vor N

Durchweg wurde im Frankfurter Dialekt ein E oder Ä vor N immer mit einem geschlossenem E, also [e] bzw. gesprochen (Merkmal A5 der Übersicht). Beispiele sind z. B. der Plural in Kränze mit [kʀends] bzw. krẹnnds oder die Frankfurter Diminutive von Pflanze, frankfurterisch Plänsi (das ist: Pflänzchen), und Gans, frankfurterisch Gänsi (das ist: Gänschen), mit [plenziː] bzw. plẹnnsii und [genziː] bzw. gennsii.

Genauso war geschlossenes E in Mensch mit [mendʃ] bzw. mẹnndsch oder besser mit [bezæ] bzw. [bẹssä] (was aber erwartet ist, da hier Primärumlaut vorliegt; vgl. vorheriger Absatz).

Anders als die weiter oben beschriebene Regel zum Primärumlaut, erscheint das Muster von E vor N belastbar. Es wird durchweg von Oppel bestätigt: Er nutzt immer die Vokalnummer 4, die für geschlossenes E steht [Rauh 1921a, §§97–98; Keil 2017, S. 409–415].

Das A vor SCH oder der SCH-Umlaut des Frankfurterischen

Geht man in die alten Frankfurter Urkunden des späten Mittelalters, findet man im Zeitraum von 1300 bis 1500 sehr häufig E-Schreibungen für Wörter, die im Hochdeutschen ein A vor SCH haben (Merkmal M2 der Übersicht). Beispiel ist z. B. fleschen für Flaschen, Tessche für Tasche oder wesschen für waschen [Wülcker 1877, S. 17]. Das SCH hat das A zu einem E bzw. Ä umgelautet – ein in dieser Zeit für das Westmitteldeutsche fast „regelmäßiges” Phänomen [Moser 1929, S. 92].

Im Frankfurterischen des 19. und 20. Jahrhunderts war der SCH-Umlaut wesentlich seltener geworden (Merkmal K12 der Übersicht). Die Tasche sprach man nun als [daʃ] bzw. dasch und nicht mehr als [*dɛʃ] bzw. *däsch. Übriggeblieben war der Umlaut von waschen: hier hieß es durchweg [vɛʒə] bzw. wäschě – ganz gleich dem hochdeutschen Wäsche, was frankfurterisch [vɛʃ] bzw. wäsch lautete.

Bemerkenswert ist die Flexionsform du sagst. Hier hatte der Frankfurter Dialekt einen SCH-Laut anstelle des hochdeutschen „-gst”. Entsprechend wurde das A umgelautet und es hieß [sɛːʃst] bzw. sääschst. Man beachte, dass das Ä lang war. Erst ab etwa 1925 setzte sich mit [sɛʃst] bzw. säschstt eine Aussprache mit kurzem Ä durch [Rauh 1921a, §207].

Weitere Lauteigenschaften

Die folgenden Eigenschaften werden im Kontext des heutigen Standes der Mundart diskutiert:
  1. A vor -LT: Die Wörter alt, kalt und bald.
  2. I/E für Ü/Ö.