Frankfurterisch: Zum Frankfurter Stadtdialekt

Die Webseite frankfurterisch.org liefert eine genaue Beschreibung des historischen Frankfurterisch bzw. des ehemaligen Frankfurter Stadtdialekts, so wie er etwa von 1800 bis 1945 in Frankfurt am Main gesprochen wurde. Auf dieser Webseite findet sich auch das Historische Frankfurter Aussprachewörterbuch (FAWB) mit 4000 Einträgen. Anhören kann man sich im FAWB die alte Frankfurter Mundart anhand über 160 beigefügter Tonproben aus dem Lautdenkmal reichsdeutscher Mundarten von 1937 [Purschke 2014 f.].

In der Frankfurter Rundschau (25.11.2022, S. F2-3) findet sich ein schöner Übersichtsartikel über das Projekt; im Feuilleton der FAZ erschien eine Glosse zu Goethes vermeintlich letzen Worten mehr Licht, die meine Analysen zum Frankfurter G nutzt. Die Hessenschau hat am 7.1.23 das Projekt berichtet, auf Youtube kann man sich den Bericht anschauen:

Das Frankfurterische

Frankfurterisch ist eine rheinfränkische — und damit nicht zentralhessische — Mundart. Sie weist gewisse Eigenheiten auf, die sie von den umgebenden Mundarten unterscheidet bzw. unterschied und wandelte sich im Lauf der Zeit. Folgendes Schaubild fasst die wichtigsten Merkmale zusammen und umreißt grob ihre Entwicklung (Klicken zum Vergrößern und Herunterladen) — die Details werden hier auf der Webseite erläutert. Der Frankfurterisch-Test, zu dem ich Sie einlade mitzumachen und dessen Ergebnisse hier publiziert werden, testet auf ausgewählte Merkmale und erläutert sie im sprachhistorischen Kontext.

Der VokalJäger-Algorithmus: Auf der Jagd nach Frankfurter Vokalen

Die Webseite baut auf meiner Dissertation Der VokalJäger. Eine phonetisch-algorithmische Methode zur Vokaluntersuchung. Exemplarisch angewendet auf historische Tondokumente der Frankfurter Stadtmundart auf [Keil 2017]. Die Grundidee war zu untersuchen, ob man (Frankfurterische) Dialektalität bzw. den Grad einer Ausspracheprägung hin zum Frankfurterischen in einem Sprachsignal messen kann. Dazu wurde ein „idealtypisches klassisches” Frankfurterisch aus den Belegen früher Mundartforscher rekonstruiert. Auf dieses Frankfurterisch hin, so wie man es um 1920 in Frankfurt sprach, wurden Sprachsignale Frankfurter Sprecher mittels moderner Machine-Learning-Techniken untersucht. Der Algorithmus, der Frankfurter Vokale aufspürt, wurde VokalJäger genannt.

Meine Dissertation ist frei unter einer CC-BY Lizenz verfügbar und kann hier als PDF heruntergeladen werden. Online darin blättern kann man auf archive.org. In Teil III darin findet sich eine umfangreiche Beschreibung der Vokale des Frankfurter Stadtdialekts.

Mehr zu dem Verfahren und den Ergebnissen findet sich hier auf dieser Webseite. Die Schwesterwebseite VokalJaeger.org beschreibt die Algorithmik technisch. Dort kann auch Code und Daten heruntergeladen werden.


Die Dissertation erschien ursprünglich 2017 in Buchform als Band 122 der sprachwissenschaftlichen Reihe Deutschen Dialektgeographie im Georg Olms Verlag.

Frankfurterisch: Eine Definition

Wie kann man Frankfurterisch definieren? Es sollen hier zuerst allgemeine Überlegungen angestellt — eine phonetisch-phonologische Beschreibung folgt dann hier auf der Webseite unter Lautlehre. Es ist ein glücklicher Umstand, dass zum historischen Frankfurter Stadtdialekt drei phonetisch-wissenschaftlich exakte Bestandsaufnahmen existieren, und zwar von von Johann Joseph Oppel (um 1850), Ernst Wülcker (um 1875) und Hans Ludwig Rauh (um 1920) — zu allen drei mehr weiter unten. Darüber hinaus wurden im Rahmen des Frankfurter Wörterbuchs in den 1930er und 1940er Jahren umfangreiches Material gesammelt. Aus den Lautschriften der Forscher lässt sich somit das historische Frankfurterisch zwischen etwa 1850 bis 1945 genau rekonstruieren (zu den historischen Lautschriften und dem neuen wissenschaftlichen Standard, der IPA-Lautschrift, siehe hier auf dieser Webseite).

Für Frankfurterisch als eine Stadtmundart ist die Situation komplex. Es scheinen zumindest zwei Möglichkeiten offen: Die erste und naheliegende Definition ist eine geographisch-deskriptive:

Frankfurterisch ist die Menge der von den Frankfurter Bewohnern gesprochenen Varietäten.

Doch was ist Frankfurt und wer sind die Bewohner von Frankfurt? Bis zum Abriss der Wallanlagen 1805 war die Stadt Frankfurt klar durch ihre Stadtmauern definiert. Aber bereits Anfang des 18. Jahrhunderts reichte das Gebiet der Freien Reichsstadt in den Taunus und südlich über den Main. Insbesondere die Dörfer Nieder- und Oberrad im Süden, Bockenheim im Westen sowie Hausen und Niederursel im Norden gehörten in dieser Zeit zum Frankfurter Landgebiet. Somit wies Frankfurt schon damals einen Teil ländlicher Bevölkerung auf. Und die Stadt Frankfurt hatte mit Sachsenhausen seit dem Mittelalter sogar einen ländlich geprägten Stadtteil innerhalb der Stadtmauern. Es zeigt sich eine Diversität der horizontalen und vertikalen Schichtung auf: Im selben Gebiet lebende Menschen sprachen ihrer Herkunft und Schicht nach unterschiedlich. Im Frankfurterischen des 19. Jahrhunderts läuft die Trennlinie hauptsächlich entlang der rheinfränkisch geprägten Sprache der mittleren Schichten der Kleinbürger, Handwerker, Kaufleute usw. und der zentralhessisch geprägten Sprache der Gärtner, Heckenwirte, Fischer usw. aus Oberrad, Sachsenhausen und den von diesen Berufen bewohnten Straßen der Stadt, wie z. B. der Alten Gasse (vgl. hierzu Rauh 1921a, 1–26). Des Weiteren entwickelte sich eine zusätzliche soziale Trennlinie. Die Frankfurter Oberschicht der Großbürger und Patrizier wandte sich seit dem 19. Jahrhundert mehr und mehr der Mundart ab und dem Hochdeutschen zu und ihre Sprache war allenfalls noch halbmundartlich. Doch in der neu entstandenen Arbeiterklasse gewann die sich stetig wandelnde Mundart neue Träger. Eine geographisch zentrierte Definition hat die Herausforderung, die sich stetig variierende Sprachschichtung innerhalb eines geographischen Gebiets zu beschreiben. Folglich ergibt sich in dieser Definition nicht ein Frankfurterisch, sondern viele frankfurterische Varietäten, die am Ort Frankfurt gesprochen werden. Hinzu kommt, dass der Ort bzw. die Geographie Frankfurt nicht konstant ist. Bis Anfang des 19. Jahrhunderts ist Frankfurt mehr oder weniger gleich groß geblieben, doch danach wächst die Stadt rapide. Die umliegenden Dörfer werden nach und nach eingemeindet.

Die zweite Definitionsmöglichkeit ist dialektal kontrastiv:

Frankfurterisch ist die in Frankfurt gesprochene homogene Varietät, die sich deutlich sowohl vom Dialekt der weiteren Umgebung als auch vom Hochdeutschen abhebt.

Ein Blick in die historischen Lautbelege der unmittelbaren nördlichen und südlichen Vororte und die Karten des Deutschen Sprachatlasses offenbart: Frankfurt lag vokalisch als rheinfränkische Sprachinsel in einem zentralhessischen Gebiet. Das Zentralhessische der Wetterau ist die Sprache der Frankfurter Vororte und reichte bis Dreieich im Süden. Hierbei war Anfang des 20. Jahrhunderts die zentralhessische Prägung des südlichen Sachsenhausens, Oberrads, Götzenhains und Offenthals sowie des nördlichen Seckbachs, Preungesheims, Berkersheims und des Taunus noch stärker als im nördlichen Eckenheim, Eschersheim, Bonames, Praunheim, Heddernheim, Ginnheim, Niederursel, Hausen und Rödelheim (Rauh [1921a, 8–19], Freiling [1924], Freiling [1925] und Born [1938, 160]). Der Inselstatus hat, wie schon erwähnt, politisch-sozialen Hintergrund. Frankfurt war immer Freie Reichsstadt bzw. Freie Stadt, während die Umgebung unter feudaler Herrschaft stand. Frankfurt war Bürgerstadt in Bauernland. In diesem Verständnis ist Frankfurterisch nicht durch eine geographische Grenze definiert. Vielmehr definiert eine signifikante Sprachgrenze die Geographie der Mundart.

Für diese Webseite soll eine Kombination der Möglichkeiten aus den vorangegangenen Abschnitten verwendet werden. Um Frankfurterisch zu analysieren — und dann ein historisches, rückerschlossenes und idealisiertes klassisches Frankfurterisch zu definieren — wird zum einen auf einen Fundus verschriftlichter historischer Lautbelege aufgesetzt. Hier handelt es sich insbesondere um die im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte eingelagerten Aufzeichnungen von Hans Ludwig Rauh und Joseph Oppel aus dem 19. und 20. Jahrhundert und ganz besonders um Rauhs handschriftliche Lautlehre der Frankfurter Stadtmundart (Rauh 1921a). Zum anderen soll bewusst die Variabilität von Einzelbelegen gegenüber dieser idealisierten Form anerkannt und untersucht werden. Hier ist der Fokus auf unmittelbar zugängliche Varietäten in Tondokumente gesetzt. Diese werden mit dem VokalJäger vermessen und können so gegen das idealisierte klassische Frankfurterisch quantitativ kontrastiert werden. Es wird angesetzt:

Frankfurterisch sei die rheinfränkische Varietät der Kleinbürger und Arbeiter, die einzig in der Stadt Frankfurt gesprochen wird.

Dieses Frankfurterisch wurde von den Forschern Oppel, Wülcker und Rauh als Frankfurter Stadtmundart benannt und lautschriftlich belegt. Der Kontrast zwischen dieser Varietät und der zentralhessischen Varietät am geographischen Ort Frankfurt, insbesondere den Vororten, wird anerkannt. Das Gleiche gilt für das soziokulturelle Spannungsfeld, das daraus entsteht und z. B. in der Frankfurter Mundartliteratur immer wieder thematisiert wird (Bürger vs. Bauer). Entsprechend erhalten hier die zentralhessisch geprägten Vorortdialekte ihr Gewicht. Aufgrund der guten Beleglage sind das vor allem Sachsenhausen und Oberrad. Gegebenenfalls wird dann vom Frankfurterisch der Vororte gesprochen. Das Gleiche gilt für die Varietät der Oberschicht, die hier, Oppel folgend, als vornehm Frankfurterisch bezeichnet werden soll. Faktisch ist der Lautstand des Frankfurterischen um 1920 mit Rauh (1921a) und Rauh (1921b) am besten strukturiert dokumentiert. Deswegen wird angesetzt:

Frankfurterisch — im engeren Sinn — sei die von Rauh lautschriftlich belegte rheinfränkische Varietät der Kleinbürger und Arbeiter am Ort Frankfurt um 1920. Dies sei hier als klassisches Frankfurterisch, abgekürzt kFra, bezeichnet.

Das klassische Frankfurterisch ist der Eichpunkt dieser Webseite und alle anderen Belege, Untersuchungen und insbesondere die mit dem VokalJäger untersuchten Tondokumente werden mit ihm in Bezug gesetzt. Anders als für Rauh um 1920 ist aber heute viel mehr Material zur Frankfurter Mundart bekannt — insbesondere kannte Rauh zum Zeitpunkt seiner Dissertation noch nicht die Aufzeichnungen Oppels aus dem 19. Jahrhundert. So ist es heute möglich, Aspekte des Varietätenwandels zu beschrieben. Dazu wird die maßgebliche Zeit des 19. und 20. Jahrhunderts in sogenannte Hauptperioden eingeteilt, über die ein Sprachwandel beobachtet werden kann. Es wird sich also nicht nur auf das eine klassische Frankfurterisch beschränkt. Vielmehr kann ergänzt werden

Frankfurterisch ist eine historische Folge der rheinfränkischen Varietäten am Ort Frankfurt. In jeder Periode steht dieses Frankfurterisch jeweils im Kontrast zu der rheinfränkischen halbmundartlichen Varietät und den zentralhessischen Varietäten der Vororte

Es wird eine Bindung an die Geographie Frankfurts und das Kontrastargument gesucht:

Nur, solange die am Ort Frankfurt gesprochene rheinfränkische Varietät distinktiv zu ihrer zentralhessischen Umgebungsvarietät ist und der Ort Frankfurt ausschließlich Repräsentant dieser Varietät ist, soll von Frankfurterisch die Rede sein.

Im Lauf der Zeit hat sich die Sprachgrenze, die einst eng um Frankfurt herumlief, markiert durch die zentralhessisch sprechenden Vororte, so weit aufgebläht, dass sie heute große Teile des Rhein-Main-Gebiets als mehr oder weniger homogenen Sprachraum umfasst. Man kann diesen Ausgleichsregiolekt Neu-Frankfurterisch nennen, denn er wird ja von Frankfurtern als Frankfurterisch bezeichnet oder ihn mit Dingeldein (2007) als RMV-Hessisch bezeichnen. Aber dieser Ausgleichsregiolekt ist kein Frankfurterisch mehr nach den Definitionen dieses Abschnitts. Mit der Auflösung der mit der Stadt Frankfurt identischen rheinfränkischen Sprachinsel im Zentralhessischen ist Frankfurterisch untergegangen. Wie sich zeigen wird, fällt dies in die Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg.

Hans Ludwig Rauh

Hans Ludwig Rauh promovierte 1921 mit seiner mehr als dreihundert Seiten starken Lautlehre der Frankfurter Mundart (Rauh 1921a). Das handschriftliche Werk ist eine klassische Lautlehre der Zeit: Der Lautstruktur des Westgermanischen folgend, werden die einzelnen Vokale und Konsonanten des Frankfurterischen erläutert und in vielen Belegen in Teuthonista-Lautschrift phonetisch transkribiert. In verschiedenen Anmerkungen wird das Frankfurterische gegen die noch zentralhessisch geprägte Sprache der Vororte abgegrenzt. Dem Sprachwandel wird Rechnung getragen durch Diskussion abweichender Aussprache bei der alten und jungen Generation. Damit existiert die Referenz für den Frankfurter Stadtdialekt. Rauhs Untersuchungen basieren, genauso wie bei Oppel siebzig Jahre vor ihm, auf dem gesprochenen Wort des Dialekts: Meine Ausführungen stützen sich nicht auf die gedruckte Mundartliteratur, sondern sind das Ergebnis einer langen Beobachtung der augenblicklichen Sprachverhältnisse (Rauh 1921b, 44). Rauhs Dissertation wurde nie gedruckt — publiziert wurde nur die Kurzfassung Rauh (1921b), die öfter für die einzig existierende Grammatik des Frankfurterischen gehalten wurde. Rauhs Dissertation bzw. das darin niedergeschriebene Belegmaterial ist auch nicht in das Frankfurter Wörterbuch eingegangen. Das originale und einzige Exemplar der Schrift liegt heute im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte. In meiner Dissertation und nun dieser Webseite wird sie in zum ersten Mal gedruckt und komparativ ausgewertet.

Zum Zeitpunkt seiner Dissertation kannte Rauh zwar Wülcker (1877), aber Oppels Material noch nicht — es gibt keine Zitation oder Erwähnung. 1940 schreibt er in einem Zeitungsartikel zu Oppels Faszikeln: Ein wertvoller Fund (in: Schanze 1988, 57). Das ist wichtig: Damit erweist sich Oppels und Rauhs Material als unabhängig voneinander durchgeführte Bestandsaufnahmen und Erläuterungsversuche. Als 1939 vom Frankfurter Oberbürgermeister die Forschungsstelle für das Frankfurter Wörterbuch geschaffen wurde, ging die Leitung an Rauh. Das Ziel war zusammen mit dem jungen Germanisten Heinz Bodensohn den Wortschatz unserer Mundart zu sammeln und wissenschaftlich zu erforschen (abgedruckt in: Schanze 1988, 57). Eine der wichtigsten Aufgaben war die Verzettlung von Oppels Material. Schon 1937 und bis in die Kriegsjahre hinein führte Rauh Fragebogenaktionen durch, um den Stand der Mundart der 1930er- und 1940er-Jahre zu erfassen. Für das Frankfurter Wörterbuch begann Rauh etwa 1941 bis 1943 Frankfurter Gewährsleute über die Frankfurter Mundart zu befragen. Die Aussprache notierte Rauh sauber handschriftlich in Teuthonista-Lautschrift auf Zettel und ergänzte Varianten und Kommentare. Diese Lautbelege sind in der Materialsammlung des Frankfurter Wörterbuchs enthalten, fehlen diesem aber im Druck. In vorliegender Untersuchung zum Frankfurter Stadtdialekt werden sie berücksichtigt. Diese zweite Bestandsaufnahme des Frankfurterischen, 20 Jahre nach Rauhs Dissertation, ist die letzte Analyse des Frankfurter Stadtdialekts, bevor er endgültig aufhörte, als von den Vororten unterscheidbarer distinktiver Lautverband zu existieren. Der Krieg bereitete dem ersten Frankfurter Wörterbuch ein Ende: Bodensohn fiel 1943, Rauh verunglückte 1945 tödlich und große Teile der Belege und Arbeitsunterlagen gingen in den Kriegswirren verloren. Erst 1968 wurden die Arbeiten zum Wörterbuch mit dem geretteten Material — was heute als Rauh/Bodensohn (1939–1945) im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte eingelagert ist — wieder aufgenommen.

Zu Rauh finden sich weitere Anmerkungen in Alsheimer (1988, 20–21) und Schanze (1988, 55–72). Rauh verfasste noch weitere Arbeiten zum Frankfurter Stadtdialekt, die aber von geringerer phonetisch-phonologischer Bedeutung sind (Rauh [1925], Rauh [1927], Rauh [1939] und Rauh [1941]).

Ernst Wülcker

Ernst Wülcker arbeitete an einer Grammatik des Frankfurter Stadtdialects, deren Manuskript jedoch verschollen ist (zu Wülcker: Alsheimer 1988, 18). Er studierte in den 1870er-Jahren Frankfurter Urkunden und verfasste einen Fachartikel zum Frankfurter Stadtdialekt im Mittelalter (Wülcker 1877). Hauptsächlich trug er Belege aus der Zeit des Auftretens des frankfurterischen Deutsch als Amtssprache bis zum Wechsel auf ein überregionales Deutsch zusammen, was den Zeitraum von etwa 1330 bis 1500 betrifft. Diese Belege werden hier auf der Webseite in das Frankfurter Aussprachewörterbuch eingearbeitet.

In dem Artikel finden sich aber noch einige wichtige Belege zum gesprochenen Frankfurter Stadtdialekt der 1870er-Jahre (Wülcker 1877, 29). Die Anzahl von 14 Lautbelegen für A und drei für I erscheint gering. Jedoch sind die Lemmata sorgsam gewählt und sauber kontrastiv in Lautschrift niedergeschrieben. Wichtig ist auch, dass sie genau in die Zeit zwischen Oppel und Rauh fallen. In dieser Webseite sind sie nachgereicht, dem Frankfurter Wörterbuch fehlen sie.

Johann Joseph Oppel

Über Joseph Oppel als Person ist relativ wenig bekannt, außer dass er am 23. Juni 1815 in Frankfurt geboren wurde und ab 1845 Professor am Frankfurter Gymnasium für Naturwissenschaften war (Riese [1920], Alsheimer [1988, 17–18] und Schanze [1988, 16–54]). Aber er war der erste Frankfurter Mundartforscher und beschrieb vom Winter 1839/1840 bis zu seinem Tod 1894 insgesamt 88 Faszikel (Schreibhefte) zu je 16 Seiten mit detaillierten Anmerkungen zum Frankfurter Stadtdialekt, die heute im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte eingelagert sind (Oppel 1839–1894). Oppel führt sich selbst als jemanden ein, der sich von Jugend auf für Dialekte überhaupt und insbesondere für den seiner Vaterstadt Frankfurt a. M. interessierte (Oppel 1869, ebenso alle Zitate von Oppel im Folgenden).

Oppels selbstgesetztes Ziel war es, ein Frankfurter Idiotikon zu verfassen, wie er 1869 nach dreißig Jahren Sammelarbeit (!) in einem kleinen Zeitungsartikel schrieb, wo er um Unterstützung für sein Projekt bei den Sachverständigen [...] und namentlich auch den Gelehrten unter seinen geehrten Mitbürgern bat (Oppel 1869). Sein Werk sollte unter anderem eine Lautlehre der

rein phonetischen Charakterisierung und Feststellung der vorkommenden Sprachlaute und Bezeichnung derselben durch Buchstaben sein, ergänzt um Formen- und Wortbildungslehre, Lexigraphie und vor allem viele Beispiele, wie Zwiegespräche, kleine Erzählungen, Anekdoten, Dicta, Räthsel, Lieder und Volksmelodien.

Wichtig war ihm dass dabei zum größeren Teil mündliche Quellen zu benutzen und er war sich der Gefahr von Mundartdichtung als Zeugnis wohl bewusst: [D]ie Lokalliteratur ist nur mit großer Vorsicht zu gebrauchen.

Dazu erfand Oppel eine phonetische Umschrift, die mit expliziten Nummern den Vokalklang anzeigt und auf dieser Webseite unter Lautschrift dokumentiert ist. Die dort gezeigte Tabelle verortet Oppels Vokale in dem modernen IPA-Schema und eine Abbildung zeigt Oppels kreative Versuche, ein eigenes Ordnungssystem zu schaffen. Für das im Frankfurterischen so wichtige dunkle A, seine Vokalnummer 11, hatte Oppel zusätzlich die Schreibweise mit übergesetztem O, also å. Damit kann das dunkle A auch identifiziert werden, falls die Vokalnummer fehlt. Zwar ist so der Lautstand einfach zugänglich, doch viele von Oppels prosaischen Anmerkungen und Erläuterungen sind in einer selbst erfundenen Geheimschrift notiert, die den Zugang zu den Originalfaszikeln erschwert.

Die Faszikel sind mit Tinte oder Bleistift geschrieben und mit etwa 25 Zeilen pro Blatt und 10 Wörtern pro Zeile recht gedrängt notiert. Oppels Aufzeichnungen erscheinen in der Regel völlig unstrukturiert als eine Folge von nur wenigen Zeilen langen Abschnitten, jeweils mit horizontalen Trennstrichen abgegrenzt, die unterschiedliche Themen behandeln. Die Hefte sind undatiert und auch aus ihrer offensichtlich nachträglich angebrachten Nummerierung scheint sich keine zeitliche Reihung erschließen zu lassen.

Sehr wichtig festzustellen ist, dass Oppel Naturwissenschaftler und kein Germanist war. Oppel notierte und sammelte sauber, konnte aber zum Zeitpunkt der Niederschrift der Notizen noch keine Erklärung für das Warum des Lautstands liefern — dies wäre möglich gewesen, wenn er das idealisierte Referenzsystems der Altlaute, etwa des Westgermanischen oder Mittelhochdeutschen gekannt hätte. Nach dreißig Jahren Sammelarbeit kam er 1869 zwar zu einer immer klareren und schärferen Charakteristik der strengen Gesetze und Regeln, welche der Gestaltung der [...] Mundart [...] zu Grunde liegen. Auch strebte er an, eine Sprachgeschichte des Frankfurterischen zu liefern: Gesetze der Lautverschiebung gegen das Neuhochdeutsche, beziehungsweise Mittelhochdeutsche und einige andere germanische Idiome. Doch blieb das alles ein Plan und die zum Ende seiner Zeit angestrebte germanistische Rahmung findet sich in seinen Faszikeln noch nicht. Oppel schlug die Warnungen in den Wind

Nun wird aber dem Unterzeichneten neuerdings von befreundeter Hand mehrfach (und gewiß mit Recht) darauf hingedeutet, daß er bereits in ein Alter trete, wie das Verschieben einer größeren Arbeit an sich nicht mehr räthlich erscheint, daß überhaup das Bessere gar leicht zum Feinde des Guten werde, und er daher an der Zeit, auf irgendeine Nutzbarmachung des gesammelten Materials Bedacht zu nehmen.

Oppel starb am 27. April 1894, ohne seine Arbeit abzuschließen — seine originalen Aufzeichnungen bewahren den originalen naiven Charakter vor jeglichem Versuch der Normalisierung und verbleiben ungekürzt, was sie zu einer unschätzbaren Quelle für die heutige Forschung macht. Nach Oppels Tod wurde sein Material dem Stadtarchiv übergeben. Die erste öffentliche Erwähnung ist in Askenasy (1904, 331) zu finden:

Das städtische Archiv besitzt seit kurzer Zeit ein umfangreiches Manuskript des Dr. phil. Oppel, in welchem derselbe das Material zu einer Grammatik der Frankfurter Mundart zusammengetragen hat. Dieses Manuskript ist leider zum Teil in einer vom Verfasser selbst erfundenen Geheimschrift niedergeschrieben, deren Entzifferung von einem seiner Schüler versucht werden soll.

Im selben Jahr bezieht sich Hameran (1904, 2) in seiner Kritik zu Askenasy (1904) in der Frankfurter Zeitung auf Oppels wertvolle Aufzeichnungen. Erst Alexander Riese gelingt es, Oppels Geheimschrift zu brechen und würdigt ihn in einem Fachartikel (Riese 1920). Oppels Sammlung wurde von Hans Ludwig Rauh zwischen September 1939 und Juli 1940 auf 25.000 Zetteln verzettelt. Für Rauh hatte Oppels Forschung eine Schlüsselstellung für die geplante erste Fassung des Frankfurter Wörterbuchs, wie er auf einer Notiz vermerkte (in: Schanze 1988, 17). Rauh erkennt in Oppel den geradezu genialen Beobachter seiner Mundart, als er die Aufzeichnungen zum ersten Mal öffentlich nutzt, um Frankfurter Schimpfnamen zu erläutern (Rauh 1941). Die verzettelte Version ist als Rauh/Bodensohn (1939–1945) im Frankfurter Stadtarchiv eingelagert. Das Gleiche gilt für Oppels originale Faszikel (Oppel 1839–1894). Beide Quellen wurden für das Frankfurter Aussprachewörterbuch nach Belegen durchgesehen.

Oppels Material ist insofern herausragend, als dass es explizite Markierungen des Vokalklangs enthält, sehr umfangreich ist und vor allem kontrastiv arbeitet. Rauh wertete Oppels Material in einem Zeitungsartikel 1940 entsprechend hoch: Da Oppel auch die Aussprache genau vermerkt hat, ist es möglich, genaue Kenntnis des nicht mehr lebenden Frankfurter Wortschatzes zu erhalten und den Wandel der Mundart zu verfolgen. In einem Brief im selben Jahr an die Höchster Mundartsammlerin Frieda Reutling betonte er den, wie man heute sagen würde, Real-Time Charakter der Aufzeichnungen

Die Oppel'sche Sammlung [ist] eine unschätzbare kritische Quelle, denn er hat nur das damals gesprochene und von ihm selbst gehörte oder von alten Leuten verbürgte Wort aufgezeichnet.

Ebenfalls 1940, in einem Brief an Professor Fritz Stroh, fügte Rauh hinzu:

[Oppel] Fing etwa um 1839 mit seinen Beobachtungen und Aufzeichnungen der lebenden Mundart an und sammelte ein Leben lang. Da er auch eine genau ausgearbeitete phonetische Umschrift besaß, und die Aussprache der meisten Wörter mit dieser Umschrift kenntlich gemacht hat, so haben wir den seltenen glücklichen Fall vorliegen, daß wir die Entwicklung der Mundart über mehr als hundert Jahre genau zurückverfolgen können

(beide Brief sind abgedruckt in: Schanze 1988, 57).

Das Frankfurter Wörterbuch

Der erste Versuch, ein Frankfurter Wörterbuch — im Folgenden abgekürzt: FWB — zu schaffen, wurde von Rauh unternommen, scheiterte aber am Zweiten Weltkrieg und seinem Tod. In den späten 1960er-Jahren nahm Wolfgang Brückner das Projekt zum Frankfurter Wörterbuch wieder auf. 1988 war das sechsbändige Werk abgeschlossen (FWB [1971–1985], Brückner [1971], Brückner [1972], Brückner [1976], Alsheimer [1988], Brückner [1988] und Schanze [1988]).

Für das zweite FWB entschloss man sich aber, aus Kosten- und Aufwandsgründen, auf eine Neuerhebung von Belegen zu verzichten: Einzig das von Oppel und Rauh gesammelte Material sollte verwendet werden. Der ganze, nun im Frankfurter Institut für Stadtgeschichte abgelegte Apparat, umfasst 33 Zettelkästen und 11 Kartons (Rauh/Bodensohn 1939–1945).

Das zweite FWB in seiner Fassung von 1988 ist in erster Linie ein von Volkskundlern verfasstes soziolinguistisches Werk, weniger ein sprachhistorisches oder phonetisch-phonologisches. Das FWB ist mit seinen Schriftbelegen unbestritten bedeutsam aus historischer und soziologischer Sicht — aber dem FWB gehen leider belastbare phonetische Belege ab. Diese Problematik soll im Folgenden erläutert werden, ohne die Leistung des Werks schmälern zu wollen.

Das FWB beschreibt die frankfurterische Lautung in Teuthonista-Lautschrift und setzt diese in den Kopf des Artikels. Da jedoch eine exakte Rekonstruktion der Frankfurter Aussprache nicht zur Zielsetzung des FWB gehört, gilt die phonetische Umschreibung nur unter Vorbehalt (FWB 1971–1985, 108):

Auf eine über die Zeichen der Zeitschrift für Mundartkunde hinausgehende Differenzierung der Laute musste verzichtet werden, auch wenn die ausgefeilte Phonetik im Oppel Manuskript Aufschlüsse in dieser Richtung geben könnte, denn sonst wäre die Einheitlichkeit gestört worden.

Die Teuthonista-Notation ist vom jeweiligen Bearbeiter erschlossen und es ist leider nicht bezeichnet, ob sie auf einen und auf welchen Beleg sie gestützt ist. Der Leiter Wolfgang Brückner ist sich der Herausforderung bewusst und schreibt (Brückner 1976, 116):

Ein Problem besonderer Art stellt unser phonetischer Ansatz der Mundartlemmas dar. Er steht [...] in eckigen Klammern, weist ihn also als von uns stammend aus und zwar nicht nur in seiner lautschriftlichen Wiedergabe [...], sondern vornehmlich als subjektive Setzung auf Grund in aller Offenheit zweifelhaft zu nennender Kriterien.

An anderer Stelle vermerkt er (Brückner 1972, VII):

Ansonsten muss für allgemeine Aussagen zur Phonetik und Lautgeschichte des Frankfurterischen stets auf die ungedruckten Teile der Dissertation von Hans Ludwig Rauh verwiesen werden.

Die ungenaue Lautschrift des FWB lässt leider manches Detail verloren gehen.

Oppel bezeugt z. B. explizit in seinem Faszikel OpF (I.19.8) zu den frankfurterischen A-Lauten, dass der A-Klang in der Rahmen (Fenster) dunkles A ist, der in der Rahm (Sahne) dagegen jedoch helles A. Erstes markierte er mit seiner Nummer 11 oder der Schreibung å, letzteres mit seiner Nummer 2. Darüber hinaus erscheint das Frankfurter Genus von Rahmen im Gegensatz zum Hochdeutschen weiblich: die Rahm (Op: II.31.10). Damit unterschied Mitte des 19. Jahrhunderts neben dem grammatischen Geschlecht der A-Klang die Bedeutung der beiden Worte. Der voneinander abweichende Vokalklang ist hier völlig regelmäßig und erklärt sich durch die entsprechenden historischen Referenzlaute des normalisierten Mittelhochdeutschen (mhd). Der Rahm der Milch, [ʀa̟ːm], korrespondiert mit mhd. roum, also mit dem alten Diphthong OU. Dieser wurde im Frankfurterischen stets zu hellem [a̟ː] monophthongiert. Das dunkle A in Rahmen, [ʀɑ:m], hingegen geht auf altkurzes A zurück, mhd. rame, welches durch Dehnung in offener Tonsilbe regelmäßig lang und dunkel wurde.

Nun sind diese Belege auch im FWB abgedruckt — aber in der erschlossenen Lautschrift führt das FWB in den Artikeln zu Rahm und Rahmen jeweils beide Aussprachevarianten [ʀa:m] und [ʀɑ:m] (hier: IPA!) undifferenziert nebeneinander an und Oppels Vokalnummern fehlen. Das mag vielleicht deskriptiv richtig sein, wenn sich mit dem Wandel der Stadtmundart beide Aussprachen mischten, ist jedoch sprachhistorisch unsauber: Der Bezug auf die Altlaute, hier alter Diphthong OU und altkurzes A in Dehnung, fehlt genauso wie die exakt differenzierende Dokumentation der sich aus den Altlauten ergebenden Aussprache in kritischen Fällen wie diesen.

Auch können im FWB für denselben Wortstamm unabgeglichene Lautvarianten in den verschiedenen Wortartikeln erscheinen. So hört z. B. Rauh Jagd mit dunklem A und Oppel jagen ebenso mit dunklem A, also [jɑxt] und [jɑ:xə] (OpF, I.19.7; Rau, 90.2.d). Das FWB führt nur helles A für Jagd an und nur dunkles A für jagen.

Die in Teuthonista niedergeschriebenen Lautbelege aus Rauhs Dissertation wurden bemerkenswerterweise nicht in das FWB von 1988 eingearbeitet. Das mag darin begründet liegen, dass Rauh seine eigene Arbeit nicht verzettelt hatte und der Anspruch des FWB sich normativ auf Rauhs Zettelkasten beschränkte. Dieser enthält aber nur Rauhs spätere Belege aus den 1930er-Jahren. Zwar hat nachweislich die FWB-Bearbeiterin Rosemarie Schanze Rauhs volle Dissertation gekannt, doch schreibt der Leiter des FWB, Rauh habe die Lautansätze seiner Lemmata, d. h. des gesamten Wörterbuchs, 1945 mit ins Grab genommen (Brückner 1976, 117).

Faktisch fehlt damit dem FWB und so der Öffentlichkeit die Fülle der präzisen Lautbeschreibungen aus Rauh (1921a). Das FWB gibt ebenso nicht die lauthistorisch wichtigen Lautbelege zum Frankfurterischen der 1870er-Jahre aus Wülcker (1877) wieder. Im Frankfurter Aussprachewörterbuch werden diese beiden Quellen nachgereicht.

Als Rauh Oppels Arbeit verzettelte, übertrug er sorgsam die Vokalnummern auf die Zettel des FWB, wo sie heute noch vorliegen. Oppels exakte Lautbeschreibungen, ausgedrückt mit seinen Nummern für verschiedene Vokalfarben, wurden nur fragmentarisch in das FWB eingearbeitet. Schanze (1988, 43) vermerkt, dass diese Hinweiszeichen wenig beachtet wurden.

Die Ungenauigkeit betrifft insbesondere die Unterscheidung des neutralen A, [a], Oppels Nummer 1, vom hellen A, [a̟], Oppels Nummer 2, als auch vom dunklen A, [ɑ], Oppels Nummer 11; sowie des offenen E, [ε], Oppels Nummer 3, vom geschlossenen E, [e], Oppels Nummer 4. Zwar fallen Oppels Vokalnummern im Druck des FWB vollständig weg, doch ist der dunkle A-Klang der Nummer 11 im FWB oft durchscheinend, so denn Oppel das dunkle A als å handschriftlich notierte oder Rauh Oppel so verzettelte, was aber nicht einheitlich der Fall ist.

Die Unterschiede zwischen den drei A-Lauten [a a̟ ɑ] und den zwei E-Lauten [e ε] mögen als eine Marginalie erscheinen, doch sind es gerade die beiden Vokale A und E, die für den Frankfurter Stadtdialekt und seinen Wandel zwischen etwa 1800 und 1945 phonetisch-phonologisch konstituierend sind.

Unpräzise wird die Darstellung im FWB, wenn eine fehlende Vokalnummer auf eine falsche Aussprache schließen lässt: So dekliniert z. B. Oppel heilen als ich ich hǟ2l, du hǟ2lst, er hǟ2lt (OpZ: I.36.4). Aus seinem Diakritikum 2 erschließt sich die Aussprache eindeutig zu [ha̟ːlə, ha̟ːlst, ha̟ːlt], was das vollkommene regelmäßige helle Monophthongierungs-A ist (verwirrend ist hier die Verwendung des Schriftzeichens Ä für dieses helle A, obwohl das Zeichen Ä im Deutschen normalerweise den Ä-Laut ε bezeichnet; zu dieser seltsamen Schreibung im Frankfurterischen vgl. auch die Anmerkungen zu den langen Vokalen in der Lautlehre). Das FWB druckt nun Oppels Beleg als ich häl, du hälst, er hält — ohne Vokalnummern! — und erschließt daraus (in IPA) [hεːə]. Das ist aber falsch: Oppels Diakritikum 2 zeigt ja eben den A-Laut und nicht den Ä-Laut ε an. Ein ε bzw. offenes Ä hätte Oppel mit seiner Nummer 3 markiert.

Ein weiteres Problem ist der fehlende Kontext im Druck des FWB. Oppel klassifiziert etwa in seinem Faszikel zur Aussprache des A explizit langes dunkles A in zwar, schreibt den Beleg aber dann als zwar ohne jede weitere Lautmarkierung nieder (OpF: I.19). Die Klangfarbe ergibt sich so nicht aus seiner Schreibung, wohl aber aus der Seitenüberschrift des Faszikels: å̄. Das FWB übernahm zwar und erschloss falsches neutrales A, also [aː], obwohl wir einen expliziten Lautbeleg mit dunklem A, also [ɑː] haben. Das dunkle A, [tsvɑː], ist auch hier völlig regelmäßig, da altlanges  in mhd. zewâre zugrunde liegt.

Die eingeschränkte phonetisch-phonologische Dimension des FWB ist auch der Bearbeiterin Schanze wohl bekannt. Sie erkennt den Verlust der Vokalnummern als Fehlerquelle an und bemerkt weiter (Schanze 1988, 69):

Eine lautgerechte oder auch nur lautgetreue Umschreibung stößt auf Schwierigkeiten. Sie hängt zum kleinen Teil von der Mundartkompetenz des Bearbeiters und von Hinweisen in den Belegstellen ab, zum größten Teil beruht sie auf dem technischen Problem, dass der Nuancenreichtum der Vokale der Frankfurter Mundart durch die beschränkte Anzahl von Lautzeichen nicht dokumentierbar ist.

So erscheinen letztlich in der Druckfassung des FWB von 1988 keine originalen phonetischen Lautbelege.

Um phonetisches Referenzmaterial für den VokalJäger zu finden und das Frankfurter Aussprachewörterbuch auf einen soliden Grund zu stellen, wurde auf den originalen Zettelkasten des FWB aus dem Frankfurter Institut für Stadtgeschichte zurückgegriffen (Rauh/Bodensohn 1939–1945). Dieser wurde vollständig durchgesehen. Dort aufgefundene lautschriftliche Belege, die der Druckfassung des FWB fehlen, werden hier berücksichtigt. Weitere Hauptquellen sind die originalen Handschriften Oppels und Rauhs, die ebenfalls durchgearbeitet wurden (Oppel [1839–1894] und Rauh [1921a]).

Mit diesem Ansatz kann die Druckfassung des FWB hier nun endlich phonetisch-phonologisch ergänzt werden.

Eva Maria Brinkmann to Broxten (um 1980)

In ihrer Dissertation untersucht Eva Maria Brinkmann to Broxten Mundartsprecher des Neu-Frankfurterischen der 1980er-Jahre (Broxten 1985). Dazu führte sie Interviews und analysierte Tonbandaufzeichnungen von Stadtteilversammlungen. Ihre Arbeit enthält auch ohrenphonetische Transkriptionen, die in dieser Arbeit berücksichtigt und diskutiert werden. Ihr Schwerpunkt war es nicht, eine klassische Lautlehre zu schaffen (Broxten 1985, 5):

Diese Abhandlung hat auch nicht zum Ziel, eine Systematik stadtmundartlicher Varietäten in Frankfurt zu erstellen, sondern sie will aus der direkten Sprachbeobachtung Erkenntnisse über Gebrauch und die Funktion von Stadtmundart heute gewinnen.

Ein Versuch der Erklärung der Frankfurter Lautphänomene durch Regress auf die Altlaute — mit Ausnahme der alten Diphthonge für das Monophthongierungs-A — wird nicht gemacht. Broxtens Ansatz folgt vielmehr dem Konzept der Phontaktik, wie es von Veith vorgeschlagen wurde, der übrigens auch zum Konsonantismus des Frankfurterischen publiziert hatte (Veith [1972] und Veith [1983]). Sie teilte das Frankfurterische in Stadtmundart I und Stadtmundart II ein, wobei erstere dem klassischen Vorkriegs-Frankfurterisch entspreche und letztere dem Lautstand der 1980er. Ihre Gewährsleute bezeichnen sich als Sprecher des Frankfurterischen obwohl es sich nach Broxten um Neu-Hessisch handelt. Es scheint, dass weder Broxten noch Veith Oppels originale Materialien und Rauhs vollständige Dissertation nutzen konnten. Dies mag darin begründet liegen, dass zu gleicher Zeit das gesamte Material in der Arbeitsgruppe des Frankfurter Wörterbuchs zusammengezogen war. Ein Kommentar zu Broxtens Dissertation findet sich in Herrgen (1988).

Tondokumente

Ein weiterer und wichtiger Zugang zum Frankfurterischen ist die Untersuchung historischer Tondokumente. Es ist z. B. möglich, mit modernen Verfahren des Machine-Learnings Dialektunterschiede phonetisch-algorithmisch zu messen.  So kann etwa der Lautwandel des historischen Frankfurterischen aus den 1930-er Jahren bis zum heutigen „RMV-Hessisch” vermessen werden. Das technische Verfahren dazu trägt den Namen VokalJäger [Keil 2017]. Die mathematisch-technische Einführung in die Methode findet sich auf der Schwesterwebseite vokaljaeger.org und in Auszügen hier auf dieser Seite.

Das Lautdenkmal reichsdeutscher Mundarten von 1937

Zum Frankfurterischen existiert aus dem Lautdenkmal reichsdeutscher Mundarten eine Schallplattenaufnahme von 1937, in der ein Postangestellter im tiefsten Frankfurterisch Hitlers Machtergreifung bejubelt. Das Lautdenkmal war ein Projekt des Deutschen Beamtenbundes: Der Marburger Dialektforscher Bernhard Martin wurde beauftragt, Dialektaufnahmen im Deutschen Reich zu erstellen, zu sammeln und auf Schallplatte zu pressen. Das Ganze war als Geburtstagsgeschenk an den „Führer”  geplant. Diese etwa 300 Schallplatten von etwa jeweils drei Minuten Sprechdauer liegen nun im Deutschen Sprachatlas (DSA) in Marburg digitalisiert vor. Mit dem Frankfurter Lautdenkmal  existiert somit ein unschätzbares „Live”-Dokument der Frankfurter Stadtmundart kurz vor ihrem Untergang 1945.

Für die Frankfurter Umgebung, etwa Klein-Gerau, gibt es ebenfalls Lautdenkmal-Aufnahmen, so dass die damals noch existierenden Unterschiede deutlich hervorstechen.

Christoph Purschke stellte mir die Lautdenkmal-Aufnahmen zur Verfügung [lautdenkmal.de; Purschke 2014 f.] und der Deutsche Sprachatlas genehmigte die auszugsweise Veröffentlichung auf dieser Webseite (Vielen Dank!). Damit können zum ersten Mal in strukturierter Form Audiodokumente des historischen Frankfurterisch der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Aus der Lautdenkmal-Aufnahme wurden Beispiele extrahiert, die hier an entsprechender Stelle zum Anhören in die Webseite eingearbeitet wurden (insbesondere im Ausprachewörterbuch).

Das Akademievorhaben Regionalsprache.de (REDE)

Seit den 2000er-Jahren werden im Rahmen des Akademievorhabens Regionalsprache.de (REDE) bundesweit Dialektaufnahmen erstellt, u.a. auch solche, die Frankfurt zugeordnet werden [Schmidt, Herrgen, Kehrein 2008 f.]. Diese Tonaufnahmen dokumentieren einen jüngeren Sprachstand.

Hier ist es nun insbesondere interessant, den Sprachwandel zwischen dem Frankfurter Lautdenkmal von 1937 und heute — bzw. den REDE-Aufnahmen — phonetisch-algorithmisch zu messen, was im Detail in Keil (2017) dokumentiert und auf vokaljaeger.org zusammengefasst ist.